Ansprache zum 25. Geburtstag der Freien Waldorfschule am Bodensee

Als geschäftsführendender Vorstand in Überlingen-Rengoldshausen im September 1997

Sehr geehrte Gäste, liebe Freunde unserer Schule, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich heiße Sie im Namen unserer Schulgemeinschaft herzlich willkommen und freue mich, dass wir hier zusammen das 25jährige Bestehen unserer Schule feiern können.

Nach meiner Einleitung werden wir als Geschenk der Schüler an unsere Festgäste einige Darbietungen aus dem Unterricht sehen dürfen. Daran werden sich Grußworte zu unserem Jubiläum anschließen. Im Anschluss an diese Feier sind Sie alle sehr herzlich eingeladen zu einem Imbiss in der Mensa.

Bevor ich Einiges zur Entwicklung unserer Schule darstelle, möchte ich danken. Danken den Gründern und allen, die diese Schule bis heute mit aufgebaut haben und damit ermöglicht haben, dass diese Schule so besteht. Insbesondere will ich kurz unsere Gedanken und Empfindungen auf das Mitglied mit der Genossennummer 1 unserer Genossenschaft lenken. Dies ist Dr. Helmut von Kügelgen. Er war seitens des Bundes der Freien Waldorfschulen der Pate für unsere Schule und hat sie in all den Jahren innerlich begleitet und auch äußerlich tatkräftig geholfen, wenn er gerufen wurde. Helmut von Kügelgen ist am 25.Februar dieses Jahres über die Schwelle zur geistigen Welt gegangen und begleitet nun unsere Arbeit und auch diese unsere Feier von der anderen Seite der Schwelle. Wir danken ihm für all seine Unterstützung und Hilfe und wollen in dem Bewusstsein leben, dass er uns weiterhin begleitet.

Sein Lebenswerk steht unter dem gleichen Motiv wie die Gründung und die Entwicklung unseres Kindergartens und unserer Schule nämlich dem Dienst an den Kindern und Jugendlichen, an dem werdenden Menschen – auch im Erwachsenen. Dem werdenden Menschen bei der Entwicklung seiner Fähigkeiten zu helfen und ihm zu helfen, stark genug zu werden, um die Herausforderung des Lebens eigenständig bewältigen zu können.

Das wollen im Grunde alle Schulen und alle Lehrer auf der Welt erreichen. Insofern arbeiten wir hier an unserem Ort mit an einem großen gesellschaftlichen Auftrag, nämlich die Kinder und die Jugendlichen zu stärken und zu befähigen, die künftige Entwicklung der Welt zu gestalten. Hierzu hat die Waldorfpädagogik Dank der Anregungen Rudolf Steiners, die aus einer umfassenden geisteswissenschaftlich sich begründenden Sicht des sich entwickelnden Menschen entstanden sind, viele Beiträge zur Erneuerung und Revolutionierung der Pädagogik entwickelt.

Jeder Waldorflehrer, jede Waldorfschule arbeitet in diesem Sinne an der Verwandlung des Bestehenden, um den Fragen und den Bedürfnissen der neuen Generationen gerecht zu werden.

Was ist nun das Besondere unserer Schule in diesem Strom der pädagogischen Entwicklung?

Das Besondere unserer Schule ist aus meiner Sicht, die Erweiterung des pädagogischen Ansatzes auf eine sozialpädagogische Fragestellung. Die Gründer unserer Schule, die ganze Gründungsgruppe hat sich intensiv mit dem anthroposophischen Sozialimpuls verbunden und aus diesem heraus die Entwicklung unserer Schule bewusst gestaltet, – unter anderem durch die Zusammenarbeit mit dem NPI, dem Niederländischen Institut für Organisationsentwicklung, das weltweit Unternehmensberatung auf anthroposophischer Grundlage durchführt.

Dadurch war der Aspekt des Lernens in unserer Schule von Anfang an nicht nur auf die Kinder und Jugendlichen begrenzt, sondern umfasste immer auch das Lernen der Erwachsenen, also der Lehrer und Eltern. Lebenslanges Lernen ist ja zu einem Schlagwort geworden. Wir haben in dieser Schule von Anfang an versucht, das Lernen als eine Chance und Herausforderung für alle an diesem Projekt Beteiligten zu begreifen.

Auch aus diesem vielfältigen Themenfeld möchte ich nur eine spezielle Frage hier heute Morgen herausgreifen. Das ist die Frage der Kooperation, der Zusammenarbeit.

Diese Schule ist entstanden durch die Zusammenarbeit von Menschen, die als Lehrer in einer Freien Waldorfschule am Bodensee unterrichten wollten. Diese Lehrer suchten nun Eltern, die mit Ihnen zusammenarbeiten wollten, um solch eine Freie Waldorfschule am Bodensee aufzubauen. Aus dieser Zusammenarbeit entstand 1971 der Waldorfkindergarten auf dem Hofgut Rengoldshausen und die Genossenschaft zur Förderung der Freien Waldorfschule am Bodensee, die heute über 1700 Mitglieder umfasst.

Die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern hat den Aufbau dieser Schule aus den ersten Anfängen auf der grünen Wiese in einfachsten Verhältnissen in den Holzbauten im Norden dieses Geländes möglich gemacht. Ich habe das als Vater in der Arbeit an der Bauplanung mit dem damals noch kleinen Kollegium von erst 16, dann 20 Lehrerinnen und Lehrern erleben dürfen. Diese Art der Arbeit, die bei allem Ringen um die Sache von Klarheit, Wärme und gegenseitiger Hilfe geprägt war, hat mich so begeistert, dass ich 3 Jahre später von meiner Arbeit als Sozialwissenschaftler an der Uni Konstanz zu diesem Kollegium gewechselt habe.

Das Prinzip Kooperation durchzieht aber auch den pädagogischen Kernprozess unserer Schule, den Unterricht. Unser Grundprinzip ist die Zusammenarbeit von Schülern und Lehrern und nicht die Arbeit gegeneinander. Natürlich ist das nicht auf allen Altersstufen gleich erlebbar, aber als Grundprinzip versuchen wir, es zu leben.

Weiterhin ist das Prinzip der Zusammenarbeit, das Prinzip der Kooperation auch in unseren Klassen anwesend. Wir versuchen die Schülerinnen und Schüler erleben zu lassen, dass in der Zusammenarbeit für alle bessere Ergebnisse erzielt werden können, als wenn wir gegeneinander arbeiten. Ein kleines Beispiel davon werden Sie anschließend in den Darbietungen der Schüler zu sehen bekommen.

Nun ist es aber so, dass man das Prinzip Kooperation zwar zum Ideal erheben kann, andererseits erleben wir aber täglich schmerzhaft, dass wir gerade das noch nicht können.

Unsere Gesellschaft hat zwar überall die Kooperation dringend nötig und propagiert sie auch in vielfältigen Appellen, sie ist aber andererseits beherrscht von der Ideologie der Konkurrenz, der Durchsetzung des Stärkeren und den entsprechenden damit verbundenen Machtideologien. In diesem Spannungsfeld sind wir alle aufgewachsen, sozialisiert worden und leben darin. Das bedeutet aber, wenn wir uns bewusst neuen Formen der Kooperation zuwenden wollen, dass wir dafür sehr viel zu lernen haben.

Wir haben uns in unserer Schule dieses soziale Lernen immer wieder bewusst gemacht. So haben wir unsere Begegnungen innerhalb der Lehrerschaft im Kollegium, zwischen Lehrern und Eltern, zwischen Lehrern und Schülern und auch zwischen den Schülern immer wieder als Lernprozesse begriffen, in denen wir Zusammenarbeit, Kooperation lernen können, müssen.

Man könnte sagen: trotz aller Tendenzen der Vereinzelung und der Individualisierung oder gerade auf dem Hintergrund der Tendenz der Entwicklung des modernen Menschen zur Individualisierung und damit auch zur Vereinzelung und Egoismus. Denn diese Entwicklungen gehen quasi wie von selbst in der Gesellschaft vor sich, während alle Lernprozesse, die das Verständnis zwischen den Menschen, die Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen den Menschen verbessern sollen, mühsam sind, bewusst gestaltet werden müssen, ein ständiges Üben erfordern, immer wieder von Rückschlägen bedroht sind – und so eine ständige Gratwanderung darstellen zwischen Hoffnung und Resignation.

Ich möchte unserer Schule und allen daran beteiligten Menschen, aber auch den Freunden unserer Schule im Umkreis zurufen, dass wir nicht erlahmen mögen, diese Herausforderung an ein lebenslanges Lernen und Ringen um die Möglichkeit zusammenzuarbeiten anzunehmen, die Kooperation weiter zu pflegen und nicht müde zu werden, daran zu üben. Die Möglichkeit, sich gegenseitig zu verstehen, schwindet in unserem Zeitalter der zunehmenden Individualisierung und zunehmenden Technisierung der Kommunikation immer mehr. Deshalb wird es eine der großen Lernaufgaben für uns und für alle Menschen in Zukunft weiterhin bleiben und in verstärktem Maße werden, den anderen in seiner Eigenart anzunehmen, Verständnis für ihn zu entwickeln und aus dem gegenseitigen Verständnis heraus die Möglichkeit zur Zusammenarbeit und zur gegenseitigen Hilfe zu finden, um reales Christentum in der Zusammenarbeit zu praktizieren.


Ansprache zum 25. Geburtstag der Freien Waldorfschule am Bodensee

Foto: Freie Waldorfschule Überlingen

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