Kriterien für Waldorf-Geschäftsführer/Geschäftsführerinnen
Der besseren Lesbarkeit wegen wird an den Stellen, an denen gendern zu umständlich wäre, das generische Maskulin verwendet, es sind aber immer Frauen und Männer gleichermaßen gemeint.
Die Anforderungen an einen Geschäftsführer/Geschäftsführerin an einer Freien Waldorfschule liegen aus meiner Sicht in vier Bereichen:
- Fachliche Qualifikation
- Soziale Kompetenz
- Kenntnis der Waldorfpädagogik und der Waldorfschule
- Anthroposophische Grundlage
Diese Reihenfolge stellt keine Wertung dar.
Meines Erachtens sind diese vier Bereiche gleichwertig. Deshalb muss ein guter Geschäftsführer/ eine gute Geschäftsführerin einer Freien Waldorfschule in allen vier Bereichen qualifiziert und sattelfest sein bzw. es in absehbarer Zeit werden können. Es ist jeweils von dem Menschen abhängig, in welchen Bereichen schon mehr Qualitäten entwickelt sind und in welchen weniger und in welchen Bereichen es der jeweiligen Persönlichkeit möglich ist, sich weiter zu entwickeln. Generell kann ich aber aus meiner Erfahrung sagen, dass die Waldorfschule und die Waldorfpädagogik ein so besonderes Arbeitsfeld sind, dass sie erst in jahrelanger Arbeit wirklich erobert werden können.
Die fachlichen Fähigkeiten wird sich ein intelligenter und flexibler Mensch, der eine gewisse Liebe zu diesen Aufgaben entwickeln kann, auf jeden Fall aneignen können.
Soziale Kompetenz und Führungsfähigkeit lassen sich zwar schulen, sind aber letztlich doch eine Frage der Persönlichkeit und deren Entwicklung, so dass zwar vorhandene Fähigkeiten weiterentwickelt werden können, jedoch fehlende persönliche Voraussetzungen in der laufenden Arbeit nicht entwickelt oder ersetzt werden können.
Die Waldorfpädagogik sollte einem Geschäftsführer/ einer Geschäftsführerin einer Freien Waldorfschule ein Herzensanliegen sein bzw. werden. Gelingt dies nicht – aus welchen Gründen auch immer – sollte man besser eine andere Aufgabe suchen. Dazu gehört auch, dass jemand ein grundlegend positives Verhältnis zu Lehrer*innen und zu deren berufsbedingten Besonderheiten und Schwächen entwickeln kann.
Die Anthroposophie als individueller Schulungsweg kann nur aus eigenem Entschluss und aus freien Stücken gewählt werden. Gelingt es jemandem jedoch nicht, wenigstens ein positiv neutrales Verhältnis zur Anthroposophie zu gewinnen, ist er aus meiner Sicht an einer Freien Waldorfschule fehl am Platz.
Deshalb kann m.E. ein Mensch, der alle anderen Voraussetzungen erfüllt bis auf die ausreichende fachliche Qualifikation, sich – bei entsprechender Eignung dafür – die fehlenden Fähigkeiten leichter aneignen als fachlich versierte Geschäftsführer*in-nen aus anderen Bereichen ohne Kenntnis der Waldorfpädagogik und der Anthroposophie. Wem die Waldorfschule völlig fremd ist, der wird sich diese „Waldorf-Gebiete“ häufig nur schwerer und mühsamer erschließen können, außer er ist auf der Suche nach anderen Lebensformen und will sich nicht nur beruflich neu orientieren. An einer aufbauenden Schule bieten sich dafür besonders günstige Bedingungen, da dort ein gemeinsames Lernfeld „Freie Waldorfschule“ für alle Beteiligten Lehrer, Eltern und Geschäftsführer gegeben ist, in das alle gemeinsam schrittweise hineinwachsen können.
Zu 1. Fachliche Qualifikation:
Folgende Bereiche sollten nach einer ausreichenden Einarbeitung beherrscht werden können:
- Personalwesen und Personalführung,
- Durchschauen der Buchhaltung und der Bilanz,
- Jahresabschluss,
- Rechnungswesen,
- Haushaltsplanung + -Durchführung,
- Finanzplanung,
- Darlehen,
- Zuschüsse,
- Spenden,
- Verwaltung, Büroorganisation,
- Datenverarbeitung,
- Kenntnis aller für die Schule relevanten Rechtsfragen,
- Verträge,
- Lehrergenehmigungen,
- Versicherungen
- Behörden, Außenkontakte,
- Gremienarbeit,
- Informationsprozesse,
- Mitgliederversammlung,
- Öffentlichkeitsarbeit,
- Finanzgespräche,
- Schulentwicklung….
Zu 2. Soziale Kompetenz, Führungsqualitäten:
Folgende Qualitäten sollen wenigsten ansatzweise vorhanden sein, damit sie weiter entwickelt werden können:
- Wachheit, Beweglichkeit, Offenheit, Lernbereitschaft,
- Analysefähigkeit, systemisches Denken, Prozessverständnis, Entwicklungsdenken, Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden können
- Formkräfte, Organisationsfähigkeit, Struktur geben
- Selbstlosigkeit, der Sache dienen wollen und können, auf den anderen eingehen können, nicht „die Schule führen“ wollen
- Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, Selbstkritik, Kritik annehmen können
- fähig zur offenen Kommunikation, Konfliktfähigkeit,
- Toleranz im Umgang mit Schwächen und Fehlern
- Verständnis für Gruppenprozesse und Konflikte,
- Fähigkeit zur Delegation, Aufgaben und Verantwortung an andere abgeben können
- sicheres Auftreten, gute Umgangsformen, Sicherheit im sprachlichen Ausdruck, gepflegtes äußeres Erscheinungsbild,
kurzum eine tatkräftige, stabile, bewegliche, offene Persönlichkeit.
Vorsicht: Persönlichkeitsschwächen werden sich wenig oder nicht beheben lassen, eher ist das Gegenteil wahrscheinlich, dass sie sich unter dem Stress der Aufgaben sogar erheblich verstärken können.
Zu 3. Kenntnis der Waldorfpädagogik und der Waldorfschule:
Die Waldorfpädagogik als spirituell orientierte Pädagogik in ihrem inneren Ansatz zu verstehen und zu wissen was, wie, wann und warum in der Freien Waldorfschule unterrichtet wird, ist in Zeiten zunehmender Kritik von außen für Waldorf-Geschäftsführer*innen unerlässlich. Gerade, wenn er nicht unterrichten sollte, ist es um so wichtiger, dass er sich mit der Waldorfpädagogik identifizieren und im Prinzip voll dahinterstehen kann.
Deshalb solle ein Geschäftsführer/Geschäftsführerin nach Möglichkeit auch unterrichtend tätig sein können, auf jeden Fall aber in den pädagogischen Konferenzen teilnehmen, um mit dem pädagogischen Kernprozess der Schule verbunden zu sein.
Zu 4. Grundlagen der Anthroposophie:
Für jemanden, der auf Dauer an einer Freien Waldorfschule arbeiten will, halte ich es für unumgänglich, sich mit dem anthroposophischen Schulungsweg wenigstens auf der einfachsten Stufe der Selbsterziehung zu verbinden. Wie dies geschieht, bleibt dem individuellen Weg des einzelnen Menschen überlassen. Das bedeutet vor allem nicht, sich auf irgendwelche bestimmten Inhalte zu verpflichten.
Zu den besonderen Bedingungen für Geschäftsführung in Waldorfschulen
Die Waldorfschule als selbstverwaltete Organisation ist ein hoch komplexes und hoch kompliziertes soziales Gebilde mit vielen verschiedenen Beziehungen
- innerhalb des Lehrerkollegiums,
- innerhalb der Elternschaft,
- im Verhältnis zwischen Lehrer*innen und Eltern
- im Verhältnis zwischen LehrerInnen und Schüler*innen
- in den Dreiecksbeziehungen Eltern-Lehrer*innen-Schüler*innen.
So haben sich in den verschiedenen Freien Waldorfschulen unterschiedliche Mechanismen der Entscheidungsfindung und der Führung herausgebildet, die häufig informeller Natur sind und von Außenstehenden nur schwer durchschaut werden können. Denn es gibt häufig nur eine einzige Führungsebene: das Kollegium der (formal) gleichberechtigten LehrerInnen, das alle zentralen Entscheidungen fällt, häufig in Form einer Schulführung oder Schulleitung bzw. Schulführungskonferenz. So hat man es oft mit einer Dominanz der hauptamtlich in der Schule tätigen Lehrer zu tun.
Der Vorstand ist zwar formal Arbeitgeber, was jedoch nicht im Bewusstsein der meisten LehrerInnen verankert ist, die das Kollegium für das für alle Fragen zuständige Organ halten. Im Vorstand und in den Arbeitskreisen sind (zum Teil sehr kompetente, häufig aber auch wenig kompetente, aber gutwillige) Eltern ehrenamtlich (also freiwillig und in ihrer Freizeit) tätig, was in der Regel erhebliche Einschränkungen an Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit mit sich bringt. Das ergibt eine besondere Rolle für den Geschäftsführer/die Geschäftsführerin, der/die vor allem die Aufgabe hat, Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Gruppen in der Schule und eine konstruktive Zusammenarbeit zu ermöglichen. Vor allem hat er/sie die Aufgabe die Arbeitsfähigkeit des sozialen Organismus Schule mit diesen Komponenten sozial verträglich ohne Weisungsbefugnis aufrecht zu erhalten.
Vorsicht für völlig Waldorf-Fremde
Deshalb besteht die Gefahr, dass ein von außen kommender Geschäftsführer/ Geschäftsführerin mit Managementmethoden und Führungsgewohnheiten aus der Wirtschaft zwar dort bisher sehr erfolgreich gewesen sein kann, aus den oben beschriebenen Gründen aber in der Waldorfschule mit ziemlicher Sicherheit ins Leere läuft oder auf passiven bzw. auch aktiven Widerstand stößt. Denn viele der sonst normalen Führungsinstrumente werden in der Waldorfschule als autoritär, bevormundend und unzulässige Machtausübung erlebt, von daher emotional abgelehnt, und finden deshalb keine Unterstützung im Lehrerkollegium als der tragenden Kern-Gruppe der Schule. In den letzten Jahren sind in vielen Schulen jedoch Entwicklungsprozesse in Gang gekommen, die eine zunehmende Professionalisierung der Führungsgremien ermöglichen.
Kenntnis der inneren Struktur der Waldorfschule ist unbedingt nötig
Da ein Geschäftsführer/Geschäftsführerin auch in einer Waldorfschule allein auf Grund seiner Funktion ohnehin relativ viel Macht in seiner Hand hat, aber durch die in der Regel fehlenden Führungsvereinbarungen in besonderem Maße auf die Akzeptanz und Unterstützung von Kollegium und Vorstand angewiesen ist, ist eine Kenntnis der inneren Strukturen, der Willensbildungs- und Entscheidungsmechanismen sowie der formellen und informellen Führungsgruppen unbedingt notwendig, um in dem von der Selbstverwaltung und dem Wunsch nach Selbstverantwortung geprägten sozialen Feld der Freien Waldorfschule als Geschäftsführer/ Geschäftsführerin auf Dauer wirksam werden zu können.
Ausbildung/Fortbildung in der Praxis zum Waldorfgeschäftsführer
Deshalb gibt es seit 2002 die einjährige Vollzeit-Ausbildung/Fortbildung zum Waldorfgeschäftsführer/ zur Waldorfgeschäftsführerin, in der sich geeignete Persönlichkeiten als Geschäftsführer-Trainee in einem Jahr in der Praxis zum Waldorfgeschäftsführer/ zur Waldorfgeschäftsführerin fortbilden können. Ein Geschäftsführer-Trainee arbeitet in der Regel jeweils 4 Monate als Assistent*in von insgesamt 3 erfahrenen Waldorfgeschäftsführer*innen möglichst in 3 verschiedenen Bundesländern in Vollzeit mit.
Zusätzlich gibt es 3-4 Module, an denen Ausbildungsbegleiter*innen und Geschäftsführer-Trainees teilnehmen, um sich mit den Bedingungen des Erwachsenenlernens vertraut zu machen. Seit 2005 stellt die LiP-Lehrerbildung in der Praxis ihre Module (und seit 2016 auch ihre Möglichkeiten der Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit) für die Ausbildungsbegleiter und die Geschäftsführer-Trainees zur Verfügung. Näheres erfahren Sie über Michael Harslem hier , der diese Fortbildung seit 2002 begleitet, oder über die Website der Akademie für Entwicklungsbegleitung von Menschen und Organisationen e.V. oder über das Netzwerk WaldorfgeschäftsführerInnen e.V. .
Kriterien für Waldorf-GeschäftsführerInnen
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay