Lasst uns Kinder selbst lernen!

Lernen! Ein Zauberwort!

Es beginnt für uns hier auf der Erde schon im Mutterleib! Schon hier machen wir viele Erfahrungen, die uns auf das Leben in dieser Welt vorbereiten. Mit dem ersten Atemzug nach der Geburt setzt es dann ganz intensiv ein und verlässt uns nicht mehr bis zum letzten Atemzug.

Wir alle, die wir hier auf diese Welt kommen, wollen unbedingt diese interessante, vielfältige Welt entdecken und unsere eigenen Erfahrungen damit machen. Wir lernen ständig vor allem durch eigenes Ausprobieren, wir lernen von Vorbildern, durch Widerstände, durch Erfolge, durch Misserfolge, von anderen und mit anderen, durch Anleitung, durch Hilfen, es selbst zu tun, es selbst zu entdecken…!

Natürlich wissen die Älteren, die Erwachsenen immer alles besser, können alles schon, verstehen die komplizierte Welt auf einem ganz anderen Niveau, als wir kleinen Kinder. Je kleiner wir noch sind, desto verschiedener von den Erwachsenen erleben wir die Welt und uns selbst im Bezug dazu. Wenn die Erwachsenen das verstehen würden, könnten sie uns unsere eigene Entwicklungswelt lassen, unsere Fantasie sich frei entwickeln lassen, um uns in unserem speziellen Kinder-Bewusstsein in unserem eigenen, individuellen Tempo wachsen zu lassen.

Aber wir werden viel zu oft wie kleine Erwachsene behandelt. Alles wird uns erklärt, wir sollen alles mit dem Kopf verstehen, was wir erst durch unsere Glieder und Sinne wahrnehmen und begreifen müssen. Die Erwachsenen verstehen nicht mehr, wie anders wir sind. Es ist uns klar, dass sie alles besser können, das müssen sie uns nicht ständig beweisen und uns vormachen, um uns zu zeigen, wie viel besser und stärker sie sind. Das wissen wir doch. Das brauchen wir nicht gezeigt zu bekommen.

Was wir brauchen ist: Schutz! Schutz, dass wir in unserer eigenen Welt leben und uns entwickeln dürfen, die so anders ist als die Erwachsenenwelt. Helft uns doch, unsere Kinderwelt und unser kindliches Bewusstsein zu bewahren! Überall stürmt die Erwachsenenwelt auf uns ein mit lauten künstlichen Tönen, grellen unwirklichen Bildern, gegen die wir uns nicht wehren können, die in uns eindringen, unsere Fantasie besetzen, uns innerlich zittern machen, die in uns zu toben anfangen, die Wünsche in uns wecken, die gar nicht unsere Wünsche sind. Wir sind dem allem wehrlos ausgeliefert, denn es saugt uns an, fasziniert uns, bindet unsere Gefühle, unser Bewusstsein – und lähmt unseren Bewegungsdrang.

Aber Bewegung ist unsere spezielle kindliche Möglichkeit der Erfahrung, der Eroberung, der Verarbeitung, der Bewältigung. Eigentlich wollen wir uns dauernd bewegen! Für uns ist das schön, für euch Erwachsene ist das anstrengend! Vor allem, wenn ihr meint, dass ihr das alles dauernd kontrollieren müsst, damit uns nichts passiert. Dabei können wir gut mit uns selbst umgehen, wenn wir eine uns angepasste geschützte Umgebung haben zum Beispiel zuhause oder im Kindergarten. Wir wollen eigentlich gar nicht auf die Straße mit den vielen Autos und unter die vielen großen Menschen. Auch die Geschäfte und Kaufhäuser mit den verwirrend vielen Sachen, Farben, Geräuschen, Gerüchen…  sind nicht unsere Welt. Sie belasten und verwirren uns, strengen uns ungeheuer an.

Lasst uns in unserer eigenen geschützten Welt frei spielen, uns frei entfalten – und wir werden uns selbst mit unseren Spielkameraden alle Kompetenzen erwerben, die wir in unserem jeweiligen Alter brauchen. Wenn ihr uns von Anfang an genügend Entwicklungsräume zur Verfügung stellt, brauchen wir keine Programme oder Medien, um das alles zu lernen, was wir entwickeln wollen. Wir brauchen die Möglichkeit, uns mit Erde, Wasser, Luft und Feuer zu beschäftigen. Wir brauchen Erfahrungen in der Natur, im Garten, im Wald, auf der Wiese, am Wasser… Wir müssen mit allem spielen dürfen! Lasst uns spielerisch Erfahrungen machen und in die Welt hineinwachsen. Wir brauchen Spielzeug, aber sollches das unserer Fantasie genügend Entfaltungsmöglichkeiten gibt. Wir brauchen Spielkamerad*innen mit denen wir altersgemäß spielen und streiten können, an denen wir uns entwickeln können. Wir brauchen liebevolle erwachsene Vorbilder und Begleiter*innen, zu denen wir aufblicken können, die wir bewundern können, die uns vertrauen und denen wir vertrauen, die uns schützen und nur dort helfen, wo wir wirklich Hilfe brauchen – am besten zur Selbsthilfe.

Warum habt ihr so wenig Vertrauen in uns und unsere Entwicklung? Wir sind nicht so dumm, so unvorsichtig, so faul, so uninteressiert, wie ihr oft meint. Wenn ihr solche Phänomene an uns wahrnehmt, liegt es daran, dass wir uns vor dem Überfluss von Eindrücken schützen müssen. Wir gehen mit so viel Grundvertrauen, Offenheit und Zuversicht auf euch und auf alles andere in der Welt zu, weil wir es entdecken wollen. Wir sind nicht dumm, wir haben nur eine ganz andere Klugheit als ihr, die ihr nicht mehr kennt, weil ihr sie vergessen habt. Wir erleben die Menschen und die Dinge ganz anders, viel unmittelbarer als ihr. Deshalb bewegt uns das alles ganz stark! Wir müssen uns deswegen auch äußerlich bewegen, um es zu erfassen, zu verarbeiten, zu bewältigen. Deshalb zwingt uns bitte nicht, dauernd still zu sitzen, still zu sein. Das ist gegen unser Lebensgefühl! Alles, was in uns hineinkommt, müssen wir verarbeiten – zuerst durch Bewegung, aber auch durch Sprechen, durch Fragen, durch Spielen. Bitte gebt uns die Möglichkeiten und die Räume dafür!

Engt uns nicht ein, aber gebt uns Sicherheit und Grenzen dort, wo wir ausfließen, überschießen, nicht mehr zur Ruhe kommen können oder wo es gefährlich für uns wird. Wir sind dann dankbar dafür, auch wenn wir uns erst einmal dagegen wehren und vielleicht sogar schreien und um uns schlagen. Wenn wir die Erfahrung machen, dass es uns guttut, sind wir dann doch dankbar dafür und werden eure Führung annehmen lernen. Alles, was wir als kleines Kind lernen, lernen wir aus eigenem Antrieb, selbst motiviert, weitgehend selbstbestimmt – soweit unsere Eltern und Bezugspersonen uns selbst lernen lassen – selbstständig, eigenverantwortlich – denn das, was wir nicht lernen wollen, lernen wir auch nicht!


Lasst uns Kinder selbst lernen

Bild von Prashant Sharma auf Pixabay

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