Ganz auf die Individualität bauen! Teil 2

Ganz auf die Individualität bauen! Teil 2

Geht das überhaupt? Was bedeutet das für die Waldorfschule?

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Inhalt


Dieser Aufsatz erhebt ausdrücklich keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern will verschiedene Aspekte zu dem Thema zugänglich machen! Die Literaturangaben sind nicht als wissenschaftliche Belege gedacht, sondern als Hinweise auf weiterführende Literatur oder Filme zu der jeweiligen Fragestellung, so dass der interessierte Leser dort weitersuchen kann.

Der besseren Lesbarkeit halber wird in den Fällen, in denen das Gendern zu umständlich wird, das generische Feminin oder Maskulin verwendet. Es sind damit immer alle Geschlechter gleichermaßen gemeint.

03 Sicherheiten[1][2]

Was bedeutet das? Um welche Sicherheiten geht es dabei? Wie erreicht ein Schüler diese Sicherheiten? Was ist die Rolle des/der Lehrer dabei, was die Rolle der Mitschüler, was die Rolle der Eltern, was die Rolle des sozialen Umfeldes?

Diese Frage der Sicherheit betrifft also mindestens 3 Lern-Umgebungen: die Schule, das Elternhaus, das soziale Umfeld.

In der Schule müssen der/die Lehrer und das schulische soziale Umfeld des Schülers für solche Sicherheiten sorgen, zu Hause das Elternhaus und das private soziale Umfeld (Verwandtschaft, Freunde, Nachbarn…).

Um welche Sicherheiten geht es dabei in der Schule?

Neben den 7 kindlichen Grundsicherheiten:

  1. Urvertrauen,
  2. Sicherheit auf der Erlebnisebene,
  3. Sicherheit auf der Körperebene,
  4. Sicherheit auf der Gefühlsebene,
  5. Sicherheit in Gruppen,
  6. Sicherheit in der Sprache und
  7. Sicherheit in der Kooperation mit anderen,

die im Elternhaus entwickelt werden sollten, die jedoch heute schon in vielen Fällen auch nicht mehr gegeben sind, haben sich für mich in den letzten Jahren immer deutlicher 5 zentrale Bereiche der Sicherheit für die Kinder/ Schüler/ Menschen gezeigt. Diese gelten sowohl für das Elternhaus als auch für das daraus resultierende soziale Umfeld, für den Kindergarten und für die Schule als spezielles, verordnetes soziales Umfeld. Im Folgenden beziehe ich mich hier exemplarisch auf die Schule, dies gilt jedoch eigentlich für alle o.g. Bereiche.

Die fünf Sicherheitsfelder sind:

  1. emotionale Sicherheit
  2. soziale Sicherheit
  3. methodische Sicherheit
  4. inhaltliche Sicherheit
  5. Anwendungssicherheit/Handlungssicherheit

Gibt das schulische Umfeld diese fünf Sicherheiten in ausreichendem Maße, ist es meiner Auffassung nach auch möglich, dass Schüler fehlende kindliche Grundsicherheiten teilweise ausgleichen oder sogar neu aufbauen können.

Betrachten wir nun das Lernfeld Schule im Hinblick auf diese 5 Sicherheiten:

1. emotionale Grundsicherheit in der Schüler-Lehrer-Beziehung:

Die Gestaltung einer positiven Schüler-Lehrer-Beziehung, die dem Schüler – jedem Schüler, wie er auch sei! – die Sicherheit gibt, so wie er ist, akzeptiert und angenommen zu werden, steht im Mittelpunkt und ist die unabdingbare Voraussetzung für ein positives Lernklima für die Schüler! (Grundsicherheit) Überall, wo das – aus welchen Gründen auch immer – nicht gegeben ist, entsteht Unsicherheit für den Schüler, die ihn im Lernen einschränkt und behindert!

Hier liegt die besondere Herausforderung für den Lehrer darin, sich seiner spontanen Sympathien und Antipathien, seiner sich unwillkürlich einstellenden Vorlieben und Abneigungen gegenüber den verschiedenen Schülern bzw. ihrem Verhalten gegenüber bewusst zu werden und sie aktiv durch Selbsterkenntnis aufzudecken, zu verstehen, zu bearbeiten und damit überwinden zu können.

Den anderen Menschen so annehmen, wie er ist! So kann der Lehrer zu allen Kindern eine positive Beziehung herstellen, geprägt durch Akzeptanz, durch Respekt vor der Eigenart und von tieferem Verständnis der besonderen Äußerungsformen der jeweiligen Individualität. Wenn er sich von bestimmten Äußerungen oder Aktionen (sog. Frechheiten, Unverschämtheiten, Angriffen…) eines Kindes angegriffen oder gar verletzt fühlt, muss er sich fragen, was in ihm selbst damit in Resonanz gegangen ist, so dass es in ihm diese Reaktionen hervorrufen konnte. Hier stellt sich die Aufgabe, das in sich selbst liegende Problem herauszufinden und es in sich selbst zu erlösen. Dann löst sich auch die Spannung oder Abwehr in dem Verhältnis zu dem Kind. So kann er – sich selbst besser verstehend – auch die anderen besser verstehen und eine tiefere Menschenliebe entwickeln, die jedem Kind einen Boden des uneingeschränkten Getragen-Seins und der Geborgenheit bietet, gerade auch für Kinder, die es einem durch ihr Verhalten schwer machen.

Resonanz

Jeder Erwachsene muss immer wieder ganz bewusst darauf verzichten, seine Überlegenheit, sein Wissen, seine Klugheit… dem Kind gegenüber darzustellen, auszuspielen, zu beweisen, denn das liegt ja so nahe und ist ja auch oft so einfach. Zum einen nimmt man dem Kind damit die Möglichkeit, etwas selbst zu entdecken, zum anderen kann sich das Kind leicht vom Erwachsenen dominiert oder gedemütigt fühlen. Um dem Kind seinen eigenen Lernweg zu lassen, es seine eigenen Erfahrungen entdecken zu lassen, muss der Erwachsene bescheiden werden vor dem Kind! Dann kann er unendlich viel von dem Kind erfahren: über dessen Sicht der Dinge und der Welt, seinen speziellen Zugang dazu, seinen momentanen Entwicklungsstand, seine Art, der Welt und sich zu begegnen…. Das macht den Erwachsenen oft klüger und lässt ihn wieder in das Wunder der Kindheit eintreten, um es besser zu verstehen. Dann wird er auch abspüren können, welche Frage, welcher Hinweis oder auch welche Antwort für die Seele des Kindes richtig ist und ihm Sicherheit in der Welt verschafft.

Dazu gehört auch das Vertrauen in die Entwicklung und den Lernwillen des Schülers. Die Kinder spüren sofort, ob ich ihnen etwas zutraue oder nicht. Das kennen sicher die meisten Eltern und Lehrer. Dieses Vertrauen gibt dem Kind die Grundlage für sein Selbstvertrauen. Sehr häufig sind sich Eltern und auch Lehrer gar nicht bewusst, wo sie das Kind überall bevormunden, wo es eigentlich gar nicht nötig wäre, und das Kind damit nicht stärken, sondern schwächen und verunsichern. Unsichere Kinder machen natürlich mehr „falsch“ als sichere Kinder – und treten damit in einen Teufelskreis der fortschreitenden Verunsicherung ein. Das Kind wird dann zunehmend vom Erwachsenen abhängiger als es eigentlich sein müsste. Der Erwachsene fühlt sich immer mehr für das Wohl und den Fortschritt des Kindes verantwortlich – und greift deshalb immer mehr statt weniger ein….

Ein Beispiel:

Mein kleiner Sohn im „Warum-Alter“ fragt seinen Onkel „Warum geht die Sonne auf?“ Der Onkel überlegt kurz, setzt eine wichtige Miene auf und erklärt: „Das ist gar nicht einfach zu verstehen, denn eigentlich geht die Sonne gar nicht auf, sondern – weißt Du – die Erde dreht sich um die Sonne und die Erde dreht sich um sich selbst! Deshalb sehen wir die Sonne dort hochkommen, aber in Wirklichkeit bewegt sie sich nicht, sondern die Erde bewegt sich!“ Mein kleiner Sohn schaut immer fragender auf den Onkel, auf die Sonne, auf den Boden vor sich und wird immer unsicherer: der Boden bewegt sich doch gar nicht!? Fragend schaut er mich an. Ich gehe in die Hocke, auf seine Augenhöhe und frage ihn „Was meinst Du denn, warum die Sonne aufgeht?“ Es interessiert mich wirklich, was in ihm dazu vorgeht. Er schaut mir tief in die Augen, erst etwas unsicher, ich nicke ihm ermunternd zu. Dann strahlt er auf einmal und sagt: „Damit es hell ist!“ „Richtig!“, bestätige ich ihn. So entspinnt sich zwischen uns ein kleiner Dialog, in dem er durch die Sicherheit, die ich ihm gebe, dass er das (für ihn) Richtige finden kann, freudig die Unterschiede zwischen Tag und Nacht entdeckt – bis ihn auf einmal ein vorbeifliegender Schmetterling fasziniert.

Die emotionale Sicherheit steht bezüglich der Kompetenzen in engem Zusammenhang mit der Selbstkompetenz. (siehe Teil 8 Selbstkompetenz )

2. soziale Sicherheit:

Die Akzeptanz für den einzelnen Schüler durch die Lerngruppe, in der Schule in der Regel durch die Klasse, ist eine weitere notwendige Bedingung für das Lernen. Auch hier spielt der Lehrer eine zentrale Rolle, legt er doch mit der Klasse alle sozialen Lernfelder an, übt die sozialen Umgangsformen mit den Schülern und entwickelt sie im besten Falle gemeinsam mit ihnen weiter. Dazu muss er die Gruppendynamik seiner Klasse kennen und immer im Blick haben, wie einzelne Aktionen auf den verschiedenen Feldern sich darauf auswirken. Denn noch so gut gemeinte Aktionen können im sozialen Gefüge gegenteilige Wirkungen hervorrufen, wenn ich die Dynamik der Gruppe nicht beachte. Also muss der Lehrer das Verhältnis der einzelnen Kinder zueinander in der Klasse, in der Gruppe, in den Lernpartnerschaften beachten, entwickeln helfen und ggfs. auch gestaltend eingreifen, wo die Kinder das von sich aus nicht schaffen können.

Hier unterscheide ich positive und negative gruppendynamische Effekte. Positive Effekte sind aufbauend für den Einzelnen und die Gruppe, negative Effekte wirken abbauend, destruktiv auf Einzelne oder/und auf die ganze Gruppe. Es wird immer Machtverhältnisse in jeder Gruppe geben.

Als negative Machtverhältnisse können sie abweisend, unterdrückend, demütigend, Angst machend, bedrohlich, hemmend, einschüchternd, brutal wirken sowie verrohend, jede Art von Gewaltanwendung fördernd, die Würde anderer verletzend, menschverachtend, Überheblichkeit fördernd, verachtend, abstumpfend etc.

Als positive Machtverhältnisse können sie sich jedoch fördernd, konstruktiv, harmonisierend, klärend, strukturierend, vermittelnd, ordnend auf die Gruppe auswirken. Sie können ein Klima gegenseitiger Hilfe und Unterstützung und damit ein positives Lernklima erzeugen. Die offenbaren oder die geheimen Führer der Gruppe wirken immer stilbildend und prägen die Kultur der Gruppe. Jeder kann sich sofort vorstellen und hat es vielleicht auch schon selbst erlebt, wie solche Eigenschaften jeweils auf das Lernklima in der Gruppe und die Lernmöglichkeiten der Einzelnen wirken.

Eine weitere Dimension der sozialen Sicherheit ist der soziale Rahmen des Lernens, die soziale Ordnung. Rhythmus gibt Sicherheit, ebenso Rituale. Die Formen, der Rahmen, die Organisation des Unterrichtes müssen stabil sein. Die Freiräume zum selbstverantwortlichen Lernen müssen gemeinsam entwickelt, klar beschrieben sein, müssen geübt und begleitet werden und mit Angeboten ausgestattet sein und damit Sicherheit geben.

Die soziale Sicherheit ist bei den Kompetenzen verbunden mit der Sozialkompetenz. (siehe Teil 8 Sozialkompetenz )

3. Methodensicherheit:

Lernen ist nicht in erster Linie eine Frage der Inhalte, sondern der Fragen und der Methoden, mit denen ich mir das Neue, das Unbekannte erschließen und erobern kann! Durch den Lehrer müssen die Schüler die dafür notwendigen und geeigneten Methoden kennengelernt und mit seiner Anleitung soviel geübt haben, dass sie mit den verschiedenen Methoden sicher umgehen können, die für sie selbst geeigneten Methoden und Strategien herausfinden und neue Strategien entwickeln können. Welche Methoden sind das für das exemplarische, entdeckende Erfahrungslernen?

Je nach Alter der Schüler werden das altersgemäße(!) Elemente der hier als Beispiele aufgeführten Methoden sein, die der Schüler jeweils individuell auswählt und zu seiner Arbeitsweise, zu seiner Lernstrategie macht:

  • Arbeitsmethoden: wie bearbeite ich, wie lerne ich etwas am besten?
  • Arbeitsplanung, Tagesplan, Wochenplan, Projektplan
  • Wahrnehmen üben und Wahrnehmungen beschreiben,
  • Zuhören
  • Diskussion, Diskurs, Streitgespräch
  • Fragen erkennen und selbst entwickeln,
  • das Wesentliche erkennen,
  • Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Teamarbeit
  • Auswertung, Rückblick
  • Feedback
  • Visualisieren, Gestaltung, etwas ins Bild bringen,
  • Präsentation,
  • Moderation, 
  • Referate entwickeln, halten und auswerten,
  • Versuche entwickeln, aufbauen, durchführen, auswerten,
  • Gesetzmäßigkeiten erkennen und formulieren,
  • Kriterien zur Beurteilung entwickeln und anwenden,
  • Selbstbeurteilung, Fremdbeurteilung
  • Protokoll, Zusammenfassung,
  • Texte erkennen und auswerten,
  • Mnemotechniken
  • Projekte planen, durchführen, auswerten
  • Lerntagebuch
  • Portfolio
  • Tests in ihrer Systematik durchschauen und selbst entwickeln und selbst auswerten
  • und andere mehr…

Hier gilt analog bezüglich der Kompetenzen die Verbindung zur Methodenkompetenz. (siehe Teil 8 Methodenkompetenz )

4. inhaltliche Sicherheit:

Erst als 4. Punkt komme ich zu dem, was für die meisten als erstes nahe liegt, wenn man an Lernen denkt, nämlich an den Unterrichts-Stoff, die Inhalte zu denken, die die Kinder lernen und „können“ sollen.

Die Basis muss durch den innerlich verstandenen Lehrplan und die adäquate Auswahl des Stoffes verlässlich gelegt werden. Das heißt also, als Lehrer in einem Inhalt und im Umgang damit erst einmal sicher zu sein, damit der Schüler selbstständig damit arbeiten und daran weiter lernen kann.

Zuerst muss der Schüler den Inhalt kennenlernen! Aber wie?

Ein guter Lehrer wird das Vorwissen, das in den Schülern dazu schon vorhanden ist, erst einmal aktivieren, hervorholen, um zu bemerken, was alles zu dem Thema schon in den Schülern lebt und sie in welcher Weise berührt und bewegt. Dann wird er seine Schüler dafür anwärmen, wird ihnen innere Bilder dazu geben, die sie vorbereiten, gespannt sein lassen, neugierig machen auf das Eigentliche, so dass eine innere Bereitschaft, ein Interesse dafür entsteht.

Dann wird er den Stoff in einer Weise einführen, die dem seelischen Stand der Schüler entspricht. Er wird Ihnen altersgemäße, freilassende innere Bilder geben, wird die Inhalte anwärmen, lebendig werden lassen, wird die Schüler seelisch anregen. Er wird innere Fragen in ihnen entstehen lassen. Dabei ist sehr wichtig zu beachten, dass der innere Umgang des Lehrers mit dem Stoff, sein eigenes Interesse, seine Begeisterung dafür, sein Weltbild, das im Hintergrund wirkt, seine Fragen dazu von den Schülern unmittelbar wahrgenommen werden, auch wenn er das nicht ausspricht. Sie gehen in der Resonanz damit und folgen den inneren Bewegungen des Lehrers.

Dann kann er ihnen die aus seiner Sicht wichtigen Inhalte so nahe bringen, dass die Kinder sich innerlich damit verbinden können. Er wird dafür sorgen, dass sie ausreichend eintauchen können, damit innere Erlebnisse in ihnen entstehen. Diese inneren Erlebnisse geben den Schülern Sicherheit im Umgang mit dem Stoff.

Dann erst können die Schüler sich den Stoff selbst weiter vertiefend erarbeiten! Aber wie? Sie müssen sich selbst eigene Zugänge zum Stoff verschaffen, ihn selbst innerlich durchdringen, sich selbst mit ihm verbinden. Dies geschieht nur bei Interesse und am besten durch eine tätige Auseinandersetzung mit dem Stoff, ihn z.B. kreativ zu verarbeiten in eigene Geschichten, Rollenspiele, Bilder etc. In der Regel gehen Schüler gerne auf solche Angebote ein und setzen dabei viel eigene Kraft und Kreativität frei. Die künstlerische Verwandlung des Stoffes durch den selbst damit tätigen Schüler bietet hier vielfältige Möglichkeiten.

Auch hier ist wieder bezüglich der Kompetenzen der Bezug gegeben zur Inhaltskompetenz, der Sach- und Fachkompetenz. (siehe Teil 8 Sach-+Fachkompetenz )

5. Anwendungssicherheit – Selbstwirksamkeit – Salutogenese

Letztlich geht es immer darum, ob das Erarbeitete und Gelernte wirklich adäquat eingesetzt werden kann und auf die verschiedenen Herausforderungen und Probleme sinnvoll und richtig angewendet werden kann. Erst in der Anwendung können Erlebnisse der Selbstwirksamkeit entstehen.

Insofern kommt es bei der Anwendung der verschiedenen Methoden auf verschiedene Inhalte und Probleme immer darauf an, dass die Grundbedingungen der Salutogenese erfüllt sind, die zentral mit den Sicherheitenzusammenhängen. Dafür ist nach Aaron Antonovsky[3][4] ausschlaggebend, dass der Mensch ein Kohärenzgefühl entwickeln kann, also das Gefühl mit sich selbst im Einklang zu sein. Dafür nennt Antonovski die folgenden drei Bedingungen:

  • Verstehbarkeit:
    Es ist fundamental, dass ich verstehe, womit ich es zu tun habe. Das gilt für alle Bereiche des Lebens, meine eigene Existenz, meine Familie, meine besonderen Begabungen und Schwächen, mein Umfeld, die gesellschaftlichen Verhältnisse…, vor allem aber auch für das Lernen und die Arbeit am Arbeitsplatz. Wenn ich mich, meine Umwelt, die Anforderungen an mich, meine Möglichkeiten und Grenzen etc. nicht verstehen kann, ist es mir nicht möglich, ein Kohärenzgefühl zu entwickeln. Ich bin dem allen dann mehr oder weniger ausgeliefert und damit potenziell gefährdet, krank zu werden.
  • Handhabbarkeit
    Wenn die Verstehbarkeit gegeben ist, muss aber hinzu kommen, dass ich das Gefühl habe, dass ich mit mir, mit meinem Leben, mit meinen Aufgaben, mit meinen Herausforderungen gut zurechtkomme, dass ich den Anforderungen gerecht werden kann, dass das, was ich tun will, bewältigbar ist. Hier werden oft die Grenzen des eigentlich noch gut Leistbaren überspielt, sodass eine latente Überforderung und Überanstrengung eintritt, die ebenfalls das Kohärenzgefühl verhindert. Hier gilt es ganz ehrlich mit sich selbst zu sein, seine eigenen Grenzen und Möglichkeiten richtig einzuschätzen.
  • Sinnhaftigkeit
    Es kann sein, dass die ersten beiden Bedingungen gut erfüllt sind, dass mir aber alles mehr oder weniger sinnlos vorkommt. Das verhindert ebenfalls, dass das Kohärenzgefühl entstehen kann. So ist es sehr wichtig, dass ich mir klar mache, ob alles, was ich tue, auch für mich Sinn macht. Übertragen heißt es aber auch, dass ich in meinem ganzen Leben, in allen Widerständen, Krankheiten, Unfällen, aber auch in allen schönen Erlebnissen und Begegnungen einen Sinn sehen kann.

Erst wenn diese drei Bedingungen gegeben sind, kann das Kohärenzgefühl entstehen, das die Grundlage ist für Salutogenese, also für ein gesundes Leben, und für Resilienz, d.h. gesunde Widerstandskräfte.

Das Kohärenzgefühl ist die Voraussetzung für das Gefühl für und das Erlebnis von Selbstwirksamkeit in der eigenen Tätigkeit. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit wiederum ist ganz fundamental für die Bildung eines gesunden Selbstvertrauens und Selbstwertgefühls. Aus meiner Sicht gehört dann immer noch unbedingt die Freude am Leben, an dem Tun, am Lernen… dazu.

Deshalb ist als fünfte Sicherheit die Anwendungssicherheit das Ziel, in das die anderen vier Sicherheiten als Voraussetzungen münden. Sie entspricht im Bereich der Kompetenzen der Handlungskompetenz. (siehe Teil 8 Handlungskompetenz )

Ganz auf die Individualität bauen! Teil 2 von 9

weiter zu Teil 3


[1] https://harslem.de/der-dreischritt-im-unterricht-und-svl-iii

[2] https://selbstverantwortliches-lernen.de/start/voraussetzungen/

[3] Aaron Antonovsky (1937-1994) Begründer der Salutogenese https://de.wikipedia.org/wiki/Salutogenese

[4] Gerald Hüther zur Salutogene: https://www.youtube.com/watch?v=-XCiUc7jZHA

Foto von Alexander Grey von Pexels

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